Anwalt für Sexualstrafrecht in Berlin, Fachanwalt für Strafrecht und Strafverteidiger mit über 25 Jahren Erfahrung im Sexualstrafrecht.

Videovernehmung im Ermittlungsverfahren: Abspielen einer Videoaufzeichnung statt Zeugenbefragung?

Der Bundesgerichtshof hat ein Urteil des Landgerichts Braunschweig aufgehoben, mit dem ein Angeklagter zu einer Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren verurteilt wurde. Die geschädigte Zeugin selbst wurde in der Verhandlung nicht gehört. Dem liegt eine Besonderheit in Sexualstrafverfahren (Vergewaltigung, sexueller Missbrauch, sexuelle Nötigung) zugrunde, wonach Zeuginnen bereits vor der eigentlichen Hauptverhandlung – in Anwesenheit des Verteidigers – durch einen Ermittlungsrichter vernommen werden können.

Die Videoaufzeichnung wird in der Hauptverhandlung abgespielt, die Zeugin selbst nicht mehr befragt (§ 255a StPO). Grund dieses Verfahrens soll der Schutz von Zeuginnen sein. In der Praxis sich diese Idee aus meiner Sicht als Verteidiger in Sexualstrafsachen allerdings als nicht so effektiv dar, wie sich die Gesetzgebung das wünscht. § 58a StPO regelt die „Videovernehmung“ von Zeugen durch Richter/innen im Ermittlungsverfahren.

Besonders in Sexualstrafverfahren kommt aber nicht nur der Aussage von Zeuginnen, sondern auch der Aussage des Beschuldigten besonderes Gewicht zu. Daher muss sich die Verteidigung – insbesondere bei dem Vorwurf einer Vergewaltigung oder eines sexuellen Übergriffs – gut überlegen, ob und wann für den Mandanten eine Erklärung zu den Vorwürfen („Einlassung“) abgegeben wird.

Ist absehbar, dass nach der polizeilichen Vernehmung der Zeugin eine Videovernehmung durch den Ermittlungsrichter ansteht, sollte insbesondere diese Vernehmung abgewartet werden, bevor die Entscheidung über Angaben des Mandanten zu den Tatvorwürfen getroffen wird. Gerade dieser Umstand führt aber dazu, dass durch die Angaben des Mandanten wiederum Fragen aufkommen, die der Zeugin in der Hauptverhandlung gestellt werden müssen. So kommt es dann möglicherweise zu einer weiteren Vernehmung der Zeugin, die die „Videovernehmung“ im Ermittlungsverfahren ins Leere laufen lässt.

Im hier durch den BGH zu entscheidenden Fall wurde das Urteil übrigens aufgehoben, weil der Beschluss, mit dem das Landgericht das Abspielen der Videovernehmung begründet hat, keine Gründe enthielt.

Sollten Sie eine „Benachrichtigung“ von einer Zeugenvernehmung im Ermittlungsverfahren durch ein Amtsgericht erhalten, müssen Sie sich unbedingt um die Beauftragung eines Verteidigers kümmern. Sonst drohen Nachteile, die im späteren Verfahren nicht mehr gut zu machen sind.

Hier kann der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 13. Dezember 2022 nachgelesen werden.

Vergewaltigung: Die Begehung der Tat an sich darf nicht strafschärfend berücksichtigt werden.

Anmerkung: Auch in Sexualstrafverfahren mit dem Vorwurf der sexuellen Nötigung darf der Umstand, dass die Tat gegen den Willen einer Person begangen wurde, nicht zusätzlich als strafschärfend gewertet werden.

Denn genau das ist die Voraussetzung der Strafbarkeit und kein zusätzliches Unrechtsmerkmal.

Hier kann der vollständige Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 21. Juni 2022 nachgelesen werden.

Beweiswürdigung bei sexuellem Missbrauch, Anwalt sexueller Missbrauch Berlin

Anwalt sexueller Missbrauch Berlin

Als Anwalt in Berlin mit dem Schwerpunkt Sexualstrafrecht verteidige ich regelmäßig gegen den Vorwurf sexueller Missbrauch nunmehr seit über 22 Jahren

In diesem Urteil setzte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage auseinander, welche Voraussetzungen für die Unterbringung eines wegen sexueller Missbrauch Angeklagten in der Sicherungsverwahrung notwendig sind. Ein aus Beweisgründen ergangener Teilfreispruch blieb aufrecht erhalten, jedoch wurde das Urteil wegen der unterbliebenen Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung aufgehoben.

 

 

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

in der Strafsache

gegen

wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. September 2019, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,

Richterin am Bundesgerichtshof

Dr. Schneider,

die Richter am Bundesgerichtshof

Dr. Berger,

Prof. Dr. Mosbacher,

Köhler

als beisitzende Richter,

Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof

als Vertreter des Generalbundesanwalts,

Rechtsanwalt S.

als Verteidiger,

Rechtsanwältin K.

als Vertreterin der Nebenklägerin

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 22. Mai 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung unterblieben ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft und die des Angeklagten werden verworfen.

2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenklägerin zu tragen.

– Von Rechts wegen –

Gründe:

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt, von denen zwei Monate wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten. Soweit dem Angeklagten 23 weitere Sexualstraftaten und zwei Fälle der versuchten Nötigung zum Nachteil der Nebenklägerin zur Last lagen, hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die mit der Sachrüge geführte Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich gegen den Teilfreispruch, den Strafausspruch und die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung. Der Angeklagte greift das Urteil mit seinem auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Rechtsmittel an, soweit er verurteilt worden ist. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Ihr weitergehendes Rechtsmittel und die Revision des Angeklagten sind unbegründet.

I.

2Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

31. Der seit 1982 mehrfach wegen Sexual- und Gewaltdelikten in Erscheinung getretene, seit 2009 nach § 63 StGB im Maßregelvollzug untergebrachte Angeklagte lernte die am 1. Oktober 1998 geborene Nebenklägerin im Februar oder März 2012 über ein Internetportal kennen. Nachdem er ihr Vertrauen erlangt hatte, nutzte er Vollzugslockerungen, um eine „Art Liebesbeziehung“ mit ihr zu führen. Obwohl er um das kindliche Alter der Nebenklägerin wusste, vollzog er „jedenfalls“ am 18. Juni 2012 den Beischlaf mit dem zu diesem Zeitpunkt 13-jährigen Mädchen. Das Landgericht hat dies als einen schweren sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB in der ab 1. April 2004 geltenden Fassung gewertet.

42. Von der Richtigkeit der weiteren Anklagevorwürfe vermochte sich das Landgericht nicht zu überzeugen. Zwar sei es zu weiteren sexuellen Handlungen zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin gekommen. Mangels Konstanz der Aussagen der Zeugin habe aber nicht zweifelsfrei festgestellt werden können, dass diese vor Vollendung des 14. Lebensjahres der Nebenklägerin oder gegen deren Willen stattgefunden hätten. Die Strafkammer konnte auch keine Feststellungen treffen, die die Vorwürfe der versuchten Nötigung belegen. Es hat den Angeklagten deshalb insoweit aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.

53. An der Anordnung der Sicherungsverwahrung sah sich das Landgericht trotz des Vorliegens der formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB in der Fassung vom 22. Dezember 2010 und der hangbedingten Gefährlichkeit des Angeklagten für die Allgemeinheit mit Blick auf die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung gehindert. Eine Unterbringung nach § 66 StGB setze danach für den vorliegenden Tatzeitraum eine aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleitende Gefahr „schwerster“ Gewalt- oder Sexualstraftaten voraus. Dies sei hier nicht der Fall. Zwar bestehe die Gefahr, dass der Angeklagte Straftaten wie die Anlasstat begehen werde. Da diese aber einer „Art Beziehung“ entsprungen und der sexuelle Kontakt freiwillig erfolgt sei, seien die zu erwartenden Straftaten „nicht von so großer Erheblichkeit“, dass sie die Anordnung der Sicherungsverwahrung erforderlich machten.

II.

6Die Revision der Staatsanwaltschaft hat teilweise Erfolg. Soweit sie sich mit der Rüge einer fehlerhaften Beweiswürdigung gegen den Teilfreispruch und den Strafausspruch richtet, ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet. Hingegen dringt sie insoweit durch, als sie die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beanstandet.

71. Die Strafkammer hat bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung einen zu engen rechtlichen Maßstab angelegt. Zwar geht sie zutreffend davon aus, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung sich nach den Regelungen des § 66 Abs. 1 StGB in der zur Tatzeit (Juni 2012) geltenden Fassung vom 22. Dezember 2010 richten (Art. 316e Abs. 1 Satz 1, Art. 316f Abs. 2 Satz 1 EGStGB), die nur nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden dürfen (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2014 – 5 StR 563/13, BGHR StGB § 66 strikte Verhältnismäßigkeit bei bis zum 31. Mai 2013 begangenen Anlasstaten 1). Sie hat aber verkannt, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in der Regel bereits dann gewahrt ist, wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus den konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Angeklagten abzuleiten ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2333/08, BVerfGE 128, 326, 406, Rn. 172). Um „schwerste“ Gewalt- oder Sexualdelikte im Sinne von Art. 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB (vgl. insofern auch BVerfGE aaO, Rn. 173) – wie das Landgericht meint – muss es sich bei den zu erwartenden Taten mithin nicht handeln. Die Strafkammer hat sich dadurch den Blick dafür verstellt, dass Taten des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 1, § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB im Hinblick auf die für die Tatopfer oftmals gewichtigen psychischen Auswirkungen und die hohe Strafandrohung unabhängig von körperlicher Gewaltanwendung – unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls – grundsätzlich als schwere Sexualstraftaten im Sinne der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts zu werten sind (vgl. BGH, aaO; Urteile vom 23. April 2013 – 5 StR 617/12; vom 28. März 2012 – 5 StR 525/11, NStZ-RR 2012, 205, 206).

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82. Zudem sind die Ausführungen zur Gefährlichkeitsprognose widersprüchlich. Denn das Landgericht teilt an einer Stelle des Urteils mit, dass lediglich die Gefahr der Begehung von Straftaten bestehe, die mit der Anlasstat vergleichbar sind (UA S. 124). An anderer Stelle legt es aber dar, dass – dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen folgend – von dem Angeklagten vergleichbare Sexualstraftaten zu erwarten sind, „wie er sie bereits begangen hat“ (UA S. 122). Dazu zählen neben Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern auch zwei Vergewaltigungen.

93. Der Senat hebt das Urteil deshalb mit den zugehörigen Feststellungen auf, soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist. Die verhängte Strafe kann bestehen bleiben. Denn die Strafzumessungserwägungen lassen keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass das Landgericht die schuldangemessene Strafe in rechtsfehlerhafter Weise wegen des Absehens von der Maßregel überschritten hätte. Vielmehr kann der Senat insbesondere angesichts der Vorstrafen und der Tatbegehung während des Maßregelvollzugs ausschließen, dass das Landgericht bei einer Anordnung der Sicherungsverwahrung eine niedrigere als die ohnehin im unteren Bereich des Strafrahmens liegende Strafe verhängt hätte (vgl. BGH, Urteile vom 23. April 2013 – 5 StR 617/12; vom 23. Februar 1994 – 3 StR 679/93, BGHR StGB § 66 Strafausspruch 1).

104. Mit Blick auf die missverständlichen Ausführungen zum Normcharakter des § 66 Abs. 1 StGB weist der Senat für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Regelung die Sicherungsverwahrung zwingend anzuordnen ist.

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III.

11Die Revision des Angeklagten ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet, da die Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben hat.

European Case Law Identifier (ECLI):

ECLI:DE:BGH:2019:250919U5STR103.19.0

Zitiervorschlag:

BGH Urt. v. 25.9.2019 – 5 StR 103/19, BeckRS 2019, 24164

BGH zum „Einwirken“ im Sinne des § 176 StGB

Der Bundesgerichtshof hat in einem Beschluss vom 22. Juni 2010 (3 StR 177/10) eine Entscheidung zum Begriff des „Einwirkens“ auf ein Kind im Sinne des § 176 StGB getroffen. Auch für das heute oft verfolgte Phänomen des „Cybergroomings“ ist diese Entscheidung wichtig. Weiterlesen

Rechtsanwalt Vergewaltigung Berlin: Keine Strafschärfung durch die Erfüllung des Tatbestandes der Vergewaltigung selbst

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Als Rechtsanwalt in Berlin und Fachanwalt für Strafrecht erlebe ich oft, dass die Erfüllung eines Tatbestandes als unzulässiges Strafkriterium herangezogen wird, insbesondere in Fällen mit dem Vorwurf der Vergewaltigung Rechtsanwalt Vergewaltigung Berlin Anwalt Fachanwalt

Rechtsanwalt Vergewaltigung Berlin: Keine Strafschärfung durch die Erfüllung des Tatbestandes der Vergewaltigung selbst

Als Rechtsanwalt in Berlin verteidige ich seit über 22 Jahren in Verfahren mit dem Vorwurf der Vergewaltigung, seit 2001 bin ich Fachanwalt für Strafrecht in Berlin. In dem unten dargestellten Urteil geht es erneut um die eigentlich selbstverständlich zu verneinende Frage, ob die Erfüllung eines bestimmten Tatbestandes (hier: Vergewaltigung) schon für scih genommen eine höhere Strafe zulässt. Als Anwalt erlebe ich diese Situation häufig, ob wohl die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wie auch das Gesetz eindeutig ist:

 

BGH (1. Strafsenat), Beschlussvom 28.06.2018- 1 StR171/18

Auch nach neuem Recht darf der Umstand, dass der Angeklagte die Tat gegen den Willen des Opfers begangen hat, nicht zu einer Strafverschärfung führen.

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 20. November 2017  a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass

aa) der Angeklagte im Fall B.6. der Urteilsgründe wegen Vergewaltigung verurteilt ist,

bb) im Fall B.7. der Urteilsgründe die tateinheitlichen Verurteilungen wegen gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Bedrohung entfallen und er wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis verurteilt ist;

b) im Strafausspruch aufgehoben

aa) soweit die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten (u.a. für die Fälle B.1.-4. der Urteilsgründe) nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,

bb) hinsichtlich der für die Fälle B.6. und B.7. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen sowie der (weiteren) Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren (für die Taten B.5.-7. der Urteilsgründe).

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen drei Fällen der vorsätzlichen Körperverletzung, in einem davon in Tateinheit mit Bedrohung, sowie wegen Bedrohung in zwei tateinheitlichen Fällen (Fälle B.1.-4. der Urteilsgründe) unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einer früheren Verurteilung und Auflösung der dortigen Gesamtfreiheitsstrafe zu einer (ersten) Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Darüber hinaus ist er wegen vorsätzlicher Körperverletzung, wegen sexueller Nötigung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung sowie mit Bedrohung und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis (Fälle B.5.-7. der Urteilsgründe) schuldig gesprochen und gegen ihn eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verhängt worden.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit mehreren ausgeführten sachlich-rechtlichen Beanstandungen. Das Rechtsmittel erzielt lediglich den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg . Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Absatz 2 StPO.

. Den zu sämtlichen verfahrensgegenständlichen Taten getroffenen Feststellungen liegt bei Anlegung des einschlägigen revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (siehe nur BGH, Urteil vom 22. November 2016,1 StR 194/16  eine jeweils rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung zugrunde. Die Revision zeigt mit ihrem Vorbringen weder Lücken noch Widersprüche in der tatrichterlichen Würdigung auf. Das Landgericht konnte seine Überzeugung von der Glaubhaftigkeit der Aussagen der geschädigten Zeugin D. insgesamt gerade auch darauf stützen, dass deren Angaben in einem Teil der Fälle durch andere Beweismittel Bestätigung gefunden haben.

Nach den zum Fall B.6. der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte gegen den von ihm erkannten entgegenstehenden Willen der Zeugin D. vaginalen Geschlechtsverkehr an ihr vollzogen und damit das Regelbeispiel aus § 177 Absatz 6 Nummer 1 verwirklicht. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend aufgezeigt hat, muss deshalb der Schuldspruch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (etwa BGH, Beschluss vom 22. März 2017, 3 StR 475/16 ) auf „Vergewaltigung“ statt auf „sexuelle Nötigung“ lauten. Der Senat hat die entsprechende Abänderung selbst vorgenommen.

Im Fall B.7. der Urteilsgründe hält der auf „gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung in Tateinheit mit Bedrohung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis“ lautende Schuldspruch in mehrfacher Hinsicht rechtlicher Überprüfung nicht stand. Dies bedingt Änderungen des Schuldspruchs und die Aufhebung des Einzelstrafausspruchs sowie der unter dessen Einbeziehung gebildeten Gesamtstrafe von drei Jahren.

Die zugehörigen Feststellungen belegen nicht die Voraussetzungen einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Absatz 1 Nummer 2 StGB. Ein gefährliches Werkzeug im Sinne der vorgenannten Vorschrift ist jeder bewegliche Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner Benutzung im konkreten Einzelfall geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen (st. Rspr.; BGH aaO Rn. 17 mwN). Eine solche Eignung des vom Angeklagten in der Hand gehaltenen Cutter-Messers nach dessen konkreter Verwendung lassen die Urteilsgründe nicht erkennen. Nach den Feststellungen versetzte der Angeklagte der geschädigten Zeugin D. zu verschiedenen Zeitpunkten innerhalb eines einheitlichen Geschehens in einem Kraftfahrzeug zahlreiche Schläge mit der flachen Hand oder dem Handrücken in das Gesicht. Bei einem dieser Schläge hat er ein ansonsten als Drohmittel verwendetes Cutter-Messer in der Hand gehalten, so dass es zu einer Verletzung am Augenlid der Zeugin gekommen ist (UA S. 15).Rechtsanwalt Vergewaltigung Berlin Anwalt Fachanwalt

Dem kann ein Einsatz des Messers als Stich- oder Schnittwerkzeug nicht entnommen werden, was regelmäßig die erforderliche Eignung begründen würde. Auch lassen weder die Feststellungen noch die sonstigen Urteilsgründe erkennen, dass der Angeklagte das Cutter-Messer bei Ausführung des Schlages in der Hand gehalten hat, um die Schlagwirkung lediglich eines einzelnen von insgesamt wenigstens 20 Schlägen (UA S. 15) zu verstärken. Die Verletzungsfolge wird als Kratzer am rechten Augenlid beschrieben. Daraus kann daher nicht auf die erforderliche Eignung der konkreten Verletzungshandlung, erhebliche Verletzungen herbeizuführen, geschlossen werden. Den Darlegungen des Landgerichts zur „Beweisaufnahme“ und zur Beweiswürdigung zu dieser Tat lassen sich ebenfalls keine weitergehenden Umstände entnehmen, die die Eignung des fraglichen konkreten Schlages zur Herbeiführung erheblicher Verletzungen begründen könnten.

Da die geschädigte Zeugin D. sich bereits an die Anzahl der erlittenen Schläge nicht mehr näher zu erinnern vermochte (UA S. 37) und die Verletzungsfolge, als Grundlage für einen Rückschluss auf die erforderliche Eignung, nicht über einen Kratzer am Augenlid hinausgegangen ist, schließt der Senat die Möglichkeit weitergehender Feststellungen aus, die noch die Voraussetzungen der Qualifikation aus § 224 Absatz 1 Nummer 2 StGB begründen können. Er lässt daher in entsprechender Anwendung von § 354 StPOStPO die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung entfallen und ändert den Schuldspruch insoweit in eine vorsätzliche Körperverletzung (§ 223 StGB) ab. Deren Voraussetzungen sind durch die getroffenen Feststellungen belegt.

§ 265 StPO  StPO steht nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht erfolgreicher als geschehen hätte verteidigen können.Rechtsanwalt Vergewaltigung Berlin Anwalt Fachanwalt

Die zusätzliche tateinheitliche Verurteilung wegen Nötigung und Bedrohung kann ebenfalls nicht bestehen bleiben. Auf der Grundlage der Feststellungen bestand die Nötigungshandlung des Angeklagten darin, der Geschädigten das Cutter-Messer an den Hals gehalten und sie – erfolgreich – zum Ruhigsein aufgefordert zu haben. Werden Nötigung und Bedrohung (§§ 240,241 StGB) wie hier durch dieselbe Handlung verwirklicht, tritt die Bedrohung gesetzeskonkurrierend zurück (……..)

Der Wegfall der Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung entzieht der für die Tat B.7. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe die Grundlage.

Die Bemessung der Einzelstrafe im Fall B.6. der Urteilsgründe enthält einen durchgreifenden Rechtsfehler bereits bei der Bestimmung des anwendbaren Strafrahmens. Das Landgericht hat von der Regelwirkung des § 177 Absatz 6, Satz 2 , Nummer 2  im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung auch deshalb nicht abgesehen, weil der Angeklagte „sich gegen den erkennbaren Willen der Zeugin genommen (habe), was er meinte einfordern zu dürfen“ (UA S. Das Handeln gegen den erkennbar entgegenstehenden Willen des Opfers ist aber bereits für die Verwirklichung des Grundtatbestands gemäß § 177 Absatz 1 StGB erforderlich und kann daher als solches  nicht als strafschärfender Aspekt berücksichtigt werden. Angesichts der sonstigen vom Landgericht herangezogenen Strafzumessungskriterien vermag der Senat nicht auszuschließen, dass es ohne den Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot zu einem anderen Ergebnis bei der Strafrahmenbestimmung gelangt wäre. Rechtsanwalt Vergewaltigung Berlin Anwalt Fachanwalt

Die Aufhebung der beiden vorgenannten Einzelstrafen bedingt auch die Aufhebung der Gesamtstrafe für die Taten B.5.-7. der Urteilsgründe.

 Die Ablehnung der Aussetzung der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten zur Bewährung erweist sich selbst unter Berücksichtigung der lediglich begrenzten revisionsgerichtlichen Überprüfung tatrichterlicher Aussetzungsentscheidungen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2016 –StraFo 2016, 425 und Urteil vom 6. Juli 2017, 4 StR 415/16) als durchgreifend fehlerhaft.

Das Landgericht hat die Ablehnung ausschließlich auf das Fehlen besonderer Umstände im Sinne von § 56 Absatz 2 StGB gestützt, ohne eine Legalprognose gemäß § 56 Absatz 1 StGB  zu stellen. Damit hat es aber seine Grundlage für die Beurteilung „besonderer Umstände“ rechtsfehlerhaft verkürzt. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann die Frage einer günstigen Prognose auch für die Beurteilung bedeutsam sein, ob Umstände von besonderem Gewicht vorliegen (es folgen weitere Zitate)  Dass vorliegend eine weitere, nicht aussetzungsfähige Gesamtstrafe verhängt worden ist, ändert an diesen Anforderungen grundsätzlich nichts, zumal die zweite Gesamtstrafe ihrerseits nicht rechtsfehlerfrei gebildet worden ist.

16Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Entscheidung über die Aussetzung der ersten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten. Über die Aussetzungsfrage kann der neue Tatrichter unabhängig von den zugrunde liegenden Schuld- und sonstigen Strafaussprüchen befinden.

Gegebenenfalls wird er ergänzende, für die Prognose gemäß § 56 Absatz 1 StGB  StGB bedeutsame Feststellungen zu treffen haben.

Abgrenzung von sexueller Nötigung und Mißbrauch

BGH zur Abgrenzung von Sexueller Nötigung / Vergewaltigung :  nach der neuen Rechtslage wäre dieses Urteil nicht mehr aufgehoben worden. § 177 in seiner aktuellen Fassung verlangt keine finale Verknüpfung zwischen Gewaltanwendung und sexueller Handlung mehr.

BGH Aktenzeichen 2 StR 495/17 (05.06.2018)

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Marburg vom  10. Juli 2017 im Fall II. 2 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexueller Nötigung in zwei Fällen sowie wegen sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet .

Der Schuldspruch im Fall II. 2 der Urteilsgründe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Nach den Feststellungen begab sich der Angeklagte zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen Oktober 1998 und dem 24. Oktober 2002 abends oder nachts in das Zimmer seiner noch nicht 14 Jahre alten Stieftochter S., zog die Bettdecke, unter der S. lag, zur Seite und forderte das Kind auf, sich auf den Bauch zu drehen. Nachdem S. dies getan hatte, „legte er sich auf ihren Rücken, um sich sexuell zu erregen“. Anschließend setzte er sich an das Ende des Bettes und forderte das Kind auf, seine Unterhose herunterzuziehen und die Beine zu spreizen, was S. – „erneut aus Angst vor dem Angeklagten“ auch tat. Anschließend betrachtete er den Intimbereich des Kindes und masturbierte dabei.

4Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte eine – zu dem sexuellen Missbrauch eines Kindes hinzutretende – sexuelle Nötigung im Sinne des § 177 a.F. begangen hat, indem er sich auf den Rücken des Kindes legte, um sich hierdurch sexuell zu erregen, „und sie in dieser Position durch sein eigenes Körpergewicht festhielt“.

5b) Die Feststellungen belegen nicht die für den Tatbestand des STGB § 177 Absatz 1 Nr. StGB a.F. erforderliche finale Verknüpfung zwischen der Gewaltanwendung und der Vornahme der sexuellen Handlung.

Der Tatbestand des § Abs. STGB § 177 Absatz 1 StGB a.F. in der Variante der Gewaltanwendung erfordert, dass der Täter physische Kraft entfaltet, um den als ernst erkannten oder erwarteten Widerstand des Opfers gegen die Vornahme sexueller Handlungen zu überwinden (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 5. September 2017 – BGH Aktenzeichen 2STR25617 2 StR 256/17, NStZ-RR 2017, NSTZ-RR Jahr 2017 Seite 371; Urteil vom 4. März 2015 – BGH Aktenzeichen 2STR40014 2 StR 400/14, NStZ-RR 2015, NSTZ-RR Jahr 2015 Seite 211; Beschluss vom 31. Juli 2013 – BGH Aktenzeichen 2STR31813 2 StR 318/13, BGHR StGB § STGB § 177 Abs. STGB § 177 Absatz 1Gewalt 17).

Die sonach erforderliche finale Verknüpfung zwischen Gewaltanwendung und sexueller Handlung ist weder ausdrücklich festgestellt noch kann sie dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zweifelsfrei entnommen werden. Die Feststellungen belegen lediglich, dass der Angeklagte bei Vornahme der sexuellen Handlung physische Kraft entfaltet hat, indem er die Nebenklägerin mit seinem Körpergewicht fixierte. Darüber hinausgehende Handlungen des Angeklagten, die auf die Duldung des Sexualkontakts zielten, sind nicht festgestellt. Aus der Vornahme der sexuellen Handlung kann auch nicht zugleich auf die Anwendung von (weitergehender) Gewalt geschlossen werden (vgl. Senat, Urteil vom 30. März 2016 – BGH Aktenzeichen 2STR40515 2 StR 405/15, StV 2017, STV Jahr 2017 Seite 42). Dass der Angeklagte mit der sexuellen Handlung die für die Annahme vonGewalt erforderliche Zwangswirkung beim Opfer erzielen wollte, ist nicht dargetan und versteht sich angesichts des Umstands, dass die Geschädigte der Aufforderung des Angeklagten, sich auf den Bauch zu drehen, ohne Weiteres – wenngleich aus Furcht vor dem Angeklagten – entsprach, nicht von selbst.

Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht gegebenenfalls die Möglichkeit einer Verurteilung nach § STGB § 177 Abs. STGB § 177 Absatz 1 Nr. STGB § 177 Absatz 1 Nummer 2 StGB a.F., § STGB § 177 Abs. STGB § 177 Absatz 5 Nr. STGB § 177 Absatz 5 Nummer 2 StGB n.F. in den Blick zu nehmen haben; hierfür könnte Anlass bestehen, wenn und soweit der Angeklagte durch schlüssiges Verhalten auf frühere Gewaltanwendungen hingewiesen oder frühere Drohungen konkludent bekräftigt hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2012 – BGH Aktenzeichen 4STR56111 4 StR 561/11, NStZ 2013, NSTZ Jahr 2013 Seite 466, NSTZ Jahr 2013 467; Senat, Beschluss vom 7. Januar 2015 – BGH Aktenzeichen 2STR46314 2 StR 463/14, NStZ 2015, NSTZ Jahr 2015 Seite 211, NSTZ Jahr 2015 212).

Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. 2 der Urteilsgründe entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage.