Schlagwortarchiv für: Bundesgerichtshof

Ansprüche an die Beweiswürdigung bei der Konstellation „Aussage gegen Aussage“

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 16. Januar 2024 ein Urteil des Landgerichts Bielefeld aufgehoben (4 StR 428/23).

Hintergrund war der Vorwurf einer Reihe von Sexualstraftaten des Angeklagten an einer Person. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Hauptbeweismittel war die vermeintlich geschädigte Zeugin.

Der BGH hat hierzu festgestellt, dass pauschale Feststellungen nicht ausreichen, wenn es um eine Reihe von Taten geht und es die Urteilsgründe der Revisionsinstanz ermöglichen müssen, die Bewertungen des Landgerichts zu überprüfen:

Rechtlichen Bedenken begegnet unter den gegebenen Umständen bereits die knappe Wiedergabe der Aussage der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung, die neben der pauschalen Mitteilung, dass sie das – aus einer Vielzahl von Taten bestehende – Geschehen „wie festgestellt bekundet“ habe, „soweit es ihrer Wahrnehmung unterlag“, lediglich zu einigen der abgeurteilten Taten weitere Details umfasst. Durchgreifend rechtsfehlerhaft ist, dass die Strafkammer, die einen erheblich für die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin sprechenden Gesichtspunkt unter anderem in deren Konstanz „über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren“ sieht, die vorangegangenen Aussagen der Nebenklägerin nicht wiedergegeben hat, so dass dem Senat eine Nachprüfung dieser tatrichterlichen Wertung nicht möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2023 – 4 StR162/23 Rn. 7 f.; Beschluss vom 18. November 2020 – 2 StR 152/20 Rn. 8 ff.)

Das heimliche Abstreifen des Kondoms („Stealthing“) erfüllt den Tatbestand der Vergewaltigung, sagt der Bundesgerichtshof

Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich der Bundesgerichtshof mit dem Thema des „Stealthing“ beschäftigen würde. Nach diversen Amtsgerichten. Landgerichten und Oberlandesgerichten hatte nun der Bundesgerichtshof über einen Fall zu entscheiden, bei dem das Landgericht Düsseldorf einen Mann zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen diverser sexueller Übergriffe verurteilt hatte.

Dabei war die Frage zu entscheiden, wie das heimliche Abstreifen des Kondoms vor oder während des Geschlechtsverkehrs rechtlich zu bewerten ist. Einige Amtsgerichte hatten Angeklagte freigesprochen mit der Argumentation, dass heimliches Handeln mit der Vorschrift des § 177 StGB nicht bestraft werden könne, weil ein Handeln gegen den Willen fehle, wie es § 177 Absatz 1 verlangt.

Mehrere Oberlandesgerichte hatten dem widersprochen und darauf hingewiesen, dass der vor dem Sex erklärte Wille, es nur mit Kondom tun zu wollen, missachtet werde. Damit läge zumindest ein sexueller Übergriff im Sinne des § 177 Absatz 1 StGB vor.

In der Praxis wurden viele Fälle mit den im Vergleich milden Folgen des § 177 Absatz 1 abgeurteilt und mit Geld oder Bewährungsstrafen belegt. Dabei wurde aber das eigentlich wichtigste Thema oft freundlich ignoriert: Mit dem ungeschützten Eindringen könnte ein schwerer Fall der Vergewaltigung im Sinne des § 177 Absatz 6 vorliegen, der eine Mindeststrafe von zwei Jahren (!) bedeutet. (In einem meiner Fälle als Rechtsanwalt für Sexualstrafrecht in Berlin hatte die Staatsanwaltschaft tatsächlich eine Strafe von drei Jahren wegen schwerer Vergewaltigung erwogen, das Gericht sprach den Angeklagten dann aber frei.)

In der Begründung  der Amtsgerichte wird oft darauf abgestellt, dass die hohe Strafe des § 177 Absatz 6 StGB  Strafe nicht passe, da es sich ja im Kern um einvernehmlichen Sex handele. Der Bundesgerichtshof hat nun in einer kurzen aber klaren Bemerkung klargestellt, dass in der Regel die Anwendung des härteren Rechts nach Absatz 6 möglich ist:

Es bedarf hier keiner Erörterung, dass grundsätzlich die Verwirklichung des Regelbeispiels nach § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB in Betracht kommt (vgl. dazu KG, Beschluss vom 27. Juli 2020 – [4] 161 Ss 48/20 [58/20], OLGSt StGB § 177 Nr. 5 S. 17; BayObLG, Beschluss vom 20. August 2021 – 206 StRR 87/21, juris Rn. 39; Hoffmann, NStZ 2019, 16, 17 f.).

Nehmen Sie diesen Vorwurf der Vergewaltigung daher ernst, auch wenn es nur um das Abstreifen eines Kondoms handelt. Kleine juristische Unterschiede können über Jahre entscheiden. Lassen Sie sich daher von 25 Jahren Erfahrung als Berliner Verteidiger in Sexualstrafsachen beraten, wie eine gute und erfolgreiche Verteidigung aufgebaut wird.

Hier kann der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 13. Dezember 2022 nachgelesen werden.

Ein Täter-Opfer-Ausgleich ist auch dann möglich, wenn der Angeklagte nicht alle ihm vorgeworfenen Tathandlungen einräumt

Der Ausgleich zwischen Täter und Opfer durch eine Geldzahlung ist schon seit fast 30 Jahren gesetzlich geregelt durch § 46a StGB. Stellt das Gericht fest, dass ein solcher Ausgleich stattgefunden hat, ist die Strafe zu mildern. Auch bei Sexualstraftaten (Vergewaltigung, sexueller Missbrauch, sexuelle Belästigung) kommt diese Regelung oft zur Anwendung.

Der Bundesgerichtshof hat mit einer Entscheidung aus dem August 2022 festgestellt, dass ein Geständnis zwar regelmäßig, nicht aber in jedem Fall Voraussetzung für einen Ausgleich ist, der zu einer milderen Bestrafung führt.

Hier kann der Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 9. August 2022 nachgelesen werden.

Beweiswürdigung bei Aussage gegen Aussage

Können Abweichungen in der Aussage nicht mit üblichen Unsicherheiten bei der Erinnerung erklärt werden, weist das auf eine mangelnde Glaubhaftigkeit hin.

Der Bundesgerichtshof hat ein Urteil des Landgerichts Dortmund aufgehoben. Die ungewöhnliche Konstellation des Falles war, dass einer Frau sexueller Missbrauch ihres Sohnes vorgeworfen wurde. Neben der klassischen Konstellation Aussage gegen Aussage hat der Bundesgerichtshof sich auch mit der Frage befasst, welche Erwartungen an eine Zeugenaussage im Falle eines sexuellen Übergriffs zu stellen sind:

„Eine Inkonstanz in den Bekundungen eines Zeugen stellt einen Hinweis auf mangelnde Glaubhaftigkeit der Angaben insgesamt dar, wenn sie nicht mehr mit natürlichen Gedächtnisunsicherheiten erklärt werden kann.“
(vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 – 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172)

Hier kann der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 2. Februar 2022 nachgelesen werden.

Keine (doppelte) strafschärfende Berücksichtigung von Tatbestandsmerkmalen bei schwerer Vergewaltigung

Anwalt in Berlin bei Vergewaltigung: aktuelle Rechtsprechung kommentiert

Verteidigung beim Vorwurf der Vergewaltigung: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht in Berlin Ursus Koerner von Gustorf

Verteidigung beim Vorwurf der Vergewaltigung: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht in Berlin Ursus Koerner von Gustorf

Der Bundesgerichtshof hatte über die Revision eines wegen Vergewaltigung angeklagten Mannes zu entscheiden. Verurteilt worden war er wegen eines Falles der besonders schweren Vergewaltigung, weil er bei der Tat ein Messer als Drohmittel eingesetzt haben soll. Dies führt zu einer Mindeststrafe von fünf Jahren. Allerdings darf der zum Vorwurf gehörende Umstand, dass ein Messer eingesetzt wurde, nicht nochmals strafschärfend berücksichtigt werden. Dass Gerichte gerade in Verfahren mit dem Vorwurf der Vergewaltigung zu einer doppelten Verwertung von Umständen zu lasten des Angeklagten neigen, kann ich aus meiner langjährigen Erfahrung als Anwalt in Berlin nur bestätigen.

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3StR 314/19 vom1. Oktober 2019

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts auf dessen Antrag am 1. Oktober 2019 gemäß §349 Abs.2 und4 StPO einstimmig beschlossen:

1.Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts Koblenz vom 29.April 2019 aufgehoben im Ausspruch über

a)die für die Tat zu ZifferII.2. der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe,b)die Gesamtstrafe;jedoch bleiben die jeweils zugehörigen Feststellungen auf-rechterhalten.Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück-verwiesen.2.Die weitergehende Revision wird verworfen.Gründe:Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung und be-sonders schwerer Vergewaltigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jah-ren und sechs Monaten verurteilt sowie eine Einziehungsentscheidung getrof-fen. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision.

Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des §349 Abs.2 StPO.I.

1.Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten im FallII.2. der Urteilsgründe -rechtsfehlerfrei-als besonders schwere Vergewaltigung gemäß §177 Abs.8 Nr.1 StGB gewertet. Die Zumessung der für diese Tat verhängten Einzelfreiheitsstrafe von sieben Jahren hält der revisionsgerichtlichen Nachprüfung nicht stand.Es begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass die Strafkammer die Erwägung, der Angeklagte habe „sich mit dem Küchenmesser versehen und dieses mitgebracht“, strafschärfend gewichtet hat. Damit hat sie einen Umstand berücksichtigt, der schon Merkmal des gesetzlichen Tatbestands ist (§46 Abs.3 StGB). Denn der Angeklagte verwirklichte den Qualifikationstat-bestand des §177 Abs.8 Nr.1 StGB dadurch, dass er zur Durchsetzung sei-nes Vorhabens, sexuelle Handlungen an der Geschädigten auch gegen deren Willen zu vollziehen, aus einer mitgeführten Tasche ein Messer mit einer Klin-genlänge von 17cm nahm und dieses drohend auf die Geschädigte richtete. Diese duldete daraufhin aus Angst, der Angeklagte werde das Messer gegen sie einsetzen, den vaginalen Geschlechtsverkehr. Hat das Verwenden des mit-geführten Messers zur Folge, dass die für diese Tat festzusetzende Strafe dem erhöhten Strafrahmen des §177 Abs.8 StGB zu entnehmen ist, so erweist es sich als eine unzulässige Doppelverwertung, wenn bei der konkreten Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten gewichtet wird, dass er eben dieses Messer mit zum Tatort brachte.Dies gilt hier auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Angeklagte gegen eine gerichtliche Gewaltschutzanordnung verstieß, indem er die Geschädigte in ihrer Wohnung aufsuchte.

Die Aufhebung der für die Tat zu ZifferII.2. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage.

II.Die jeweils zugrunde liegenden Feststellungen sind von dem aufgezeigten Wertungsfehler nicht betroffen und können daher bestehen bleiben (§353 Abs.2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen.

Und nochmal: Der Bundesgerichtshof zur Definition der „Sexuellen Handlung“

Verteidiger für Sexualstrafrecht / sexueller Missbrauch in Berlin-Schöneberg: Ursus Koerner von Gustorf

Verteidiger für Sexualstrafrecht / sexueller Missbrauch in Berlin-Schöneberg: Ursus Koerner von Gustorf

Sexueller Missbrauch durch reines Fotografieren einer Alltagssituation?

Der Bundesgerichtshof hatte im August 2018 über ein teilweise freisprechendes Urteil des Landgerichts Berlin zu entscheiden. Hierbei war die Frage zu klären, ob das Fotografieren eines nackten und entblößten  Kindes in einer alltäglichen Situation als Herstellung von Kinderpornografie strafbar sein kann. (Urteil vom 29. August 2018, 5 StR 147/18 in abgekürzter Fassung)

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Die Ausführungen des Landgerichts in seiner rechtlichen Würdigung lassen besorgen, dass es bei der Beurteilung, ob im Fall 1 – und infolgedessen auch im Fall 3 – der Urteilsgründe eine sexuelle Handlung des Angeklagten vorliegt, von einem falschen rechtlichen Maßstab ausgegangen ist.

An einem Kind mit Körperkontakt vorgenommene Handlungen sind sexuelle Handlungen, wenn diese bereits objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild die Sexualbezogenheit erkennen lassen. Daneben können aber auch sogenannte ambivalente Tätigkeiten, die für sich betrachtet nicht ohne Weiteres einen sexuellen Charakter aufweisen, tatbestandsmäßig sein. Insoweit ist auf das Urteil eines objektiven Betrachters abzustellen, der alle Umstände des Einzelfalles kennt. Dazu gehören auch die Zielrichtung des Täters (BGH, Urteil vom 8. Dezember 2016 –4 StR 389/16) und seine sexuel-12131415-8-len Absichten (BGH, Urteile vom 10. März 2016 –3 StR 437/15, BGHSt 61, 173, 176; vom 21. September 2016 –2 StR 558/15, NStZ 2017, 528).

Der notwendige Sexualbezug kann sich mithin etwa aus der den Angeklagten leitenden Motivation ergeben, seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen (BGH aaO). Demgegenüber hat das Landgericht darauf abgestellt, dass „der objektive Betrachter der Handlung … zwar alle objektiven Umstände des Einzelfalls, allerdings nicht die Motivation des Handelnden (kennt), es sei denn, dass diese in objektiv wahrnehmbarer Weise zum Ausdruck kommt“ (UA S. 10)

Nach § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB macht sich auch strafbar, wer kinder-pornographische Schriften ausschließlich zum Eigenbedarf herstellt. Eine spätere Verbreitung ist seit der Einfügung der Nummer 3 durch das 49. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10) nicht mehr erforderlich (vgl. BT-Drucks. 18/2601, S. 30; MüKo-StGB/Hörnle, 3. Aufl., § 184b Rn. 30; SSW-StGB/Hilgendorf, 3. Aufl., § 184b Rn. 15).

Nach dem Schutzzweck des § 184b StGB ist dieser Straftatbestand nicht auf Fälle der Darstellung strafbewehrter sexueller Missbrauchstaten im Sinne der §§ 176 bis 176b StGB beschränkt. Denn das Merkmal „Erheblichkeit“ in § 184h Nr. 1 StGB ist nicht einheitlich am Maßstab des § 176 Abs. 1 StGB, -sondern gemäß dem Wortlaut des § 184h Nr. 1 StGB „im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut“ zu bestimmen. Nachdem § 184b StGB aber schon mögliche Anreize für potenzielle Missbrauchstäter vermeiden soll, versagt der für § 176 StGB entwickelte Maßstab der „Erheblichkeit“ gerade in den Fällen, in denen es dort zum Beispiel auf die Intensität und Dauer einer Berührung ankommt; die Übernahme dieses Maßstabs würde den Zweck der Anreizvermeidung verkürzen (BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 –1 StR 485/13, BGHSt 59, 177, 182 f. mwN).

BGH zum „Einwirken“ im Sinne des § 176 StGB

Der Bundesgerichtshof hat in einem Beschluss vom 22. Juni 2010 (3 StR 177/10) eine Entscheidung zum Begriff des „Einwirkens“ auf ein Kind im Sinne des § 176 StGB getroffen. Auch für das heute oft verfolgte Phänomen des „Cybergroomings“ ist diese Entscheidung wichtig. Weiterlesen

Bundesgerichtshof: Sexuelle Belästigung gem. § 184i StGB nur bei entsprechendem Vorsatz des Beschuldigten

Beschluss des BGH vom 15. November 2017, Aktenzeichen 5 StR 518/17

Der Bundesgerichtshof hat eine Selbstverständlichkeit bestätigt: Sexuelle Belästigung im Sinne des § 184i StGB liegt nur dann vor, wenn der Beschuldigte davon ausgeht, dass er eine andere Person „belästigt“. Weiterlesen