Bundesgerichtshof zur Abgrenzung zwischen sexuellem Missbrauch und Anstiftung

Der Bundesgerichtshof hatte hier zu entscheiden, wie die Aufforderung einer Person, eine andere Person solle ein Kind fotografieren und teilweise zu sexuellen Handlunge bringen, rechtlich zu bewerten ist. Das zuständige Landgericht hatte hierin einen gemeinsamen begangenen Missbrauch eines Kindes gesehen.

Der BGH stellt klar: Hierin ist die Anstiftung zu einem sexuellen Missbrauch und zur Herstellung von Kinderpornografie zu sehen. Eine Mittäterschaft scheidet aufgrund eines fehlenden konkreten Tatplans aus.

Damit bezieht der BGH Stellung zu einer gerade in Form von „Onlinebeziehungen“ nicht allzu seltenen Konstellation. Eine wichtige Entscheidung für die Verteidigung in Sexualstrafsachen!

Lesen Sie hier die Entscheidung:

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2 StR 264/21

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

vom

28. September 2021 in der Strafsache gegen

wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.

ECLI:DE:BGH:2021:280921B2STR264.21.0

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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Marburg vom 8. März 2021,

a)  soweit es ihn betrifft, im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Besitzverschaffen einer kinderpornographischen Schrift, der Anstiftung zum sexuellen Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit der Herstellung einer kinderpornographischen Schrift in vier Fällen sowie der Anstiftung zur Herstellung einer kinderpornographischen Schrift in zwei Fällen schuldig ist,

b)  unter Erstreckung auf die Mitangeklagte W. aufgehoben

aa) im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen II. 2 bis II. 7 der Urteilsgründe

bb) sowie im Gesamtstrafenausspruch.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels so- wie die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen „sexuellen Missbrauchs von Kindern in acht Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit Herstellung einer kinderpornographischen Schrift und in drei Fällen in Tateinheit mit dem Unternehmen des Sichverschaffens einer kinderpornographischen Schrift sowie wegen Herstellung einer kinderpornographischen Schrift in zwei weiteren Fällen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und angeordnet, dass hiervon drei Monate wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten.

2

Es hat die nichtrevidierende Mitangeklagte W. wegen Herstellung einer kinderpornographischen Schrift in sechs Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern sowie wegen Beihilfe zum sexuellen Missbrauch von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt, angeordnet, dass drei Monate hiervon wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten und die Angeklagten im Übrigen freigesprochen.

3

Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat, teilweise unter Erstreckung auf die Mitangeklagte W. den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

4

1. Die Revision des Angeklagten führt in den Fällen II. 2 bis II. 7 der Urteilsgründe zur Abänderung des Schuldspruchs sowie zur Aufhebung des Ausspruchs über diese Einzelstrafen sowie der Gesamtfreiheitsstrafe. Im Übrigen bleibt sie ohne Erfolg.

5

a) Die Überprüfung des Schuld- und Rechtsfolgenausspruchs in den Fäl- len II. 1 sowie II. 8 bis II. 10 der Urteilsgründe sowie der angeordneten Kompen- sation für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung hat keinen Rechtsfeh- ler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

6

b) Hingegen begegnet der Schuldspruch in den Fällen II. 2 bis II. 7 der Urteilsgründe durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellungen tragen weder eine mittäterschaftliche Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern nach § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB noch die Verurteilung wegen Herstellung einer kinderpornographischen Schrift gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB (jeweils in der ab 27. Januar 2015 geltenden Fassung). Sie belegen indes eine Verurteilung wegen Anstiftung zum sexuellen Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit Herstellung einer kinderpornographischen Schrift, die ein tatsächliches Gesche- hen wiedergibt (§176 Abs.4 Nr.2, §184b Abs.1 Nr.3, §52 StGB aF, §26 StGB) in vier Fällen bzw. der Anstiftung zur Herstellung einer kinderpornographischen Schrift, die ein tatsächliches Geschehen wiedergibt (§ 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF, § 26 StGB) in zwei Fällen. Der Ausspruch zu diesen Einzelstrafen sowie der Gesamtfreiheitsstrafe hat keinen Bestand.

7

aa) Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen führten der Angeklagte und W. spätestens ab Frühjahr 2015 eine sadomasochistische Beziehung, wobei der Angeklagte der dominante Partner und W. die devote „Sub“ war. Auf Anweisung des Angeklagten fertigte W. pornographische Fotos und Videos von sich und übersandte sie dem Angeklagten zu dessen sexueller Befriedigung. In der Folge forderte der Angeklagte aus derselben Motivation, dass W. von ihrer nur leicht bekleideten bzw. nackten, damals 12- jährigen Tochter, der Nebenklägerin, Fotos machen sollte, was diese in der Folge mindestens einmal ‒ insoweit nicht verfahrensgegenständlich ‒ tat. Der Angeklagte war der Initiator und die treibende Kraft, der immer wieder von W. forderte, ihm Nacktbilder und Videos der Nebenklägerin zu übersenden.

8

Zwischen dem 18. Mai 2015 und dem 3. Juni 2015 fertigte W. zu sechs unterschiedlichen Zeitpunkten nach Aufforderung und Vorgaben des Angeklagten kinderpornographische Fotos bzw. Videos von der unbekleideten Nebenklägerin, die sie jeweils im Anschluss dem Angeklagten übersandte. Das Landgericht hat die Handlungen des Angeklagten als mittäterschaftlichen sexuellen Missbrauch von Kindern gemäß § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB aF in Tateinheit mit Herstellung kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF in vier Fällen (Taten II. 2 bis II. 4 und II. 7 der Urteilsgründe) sowie, soweit es keine posierende Haltung der Nebenklägerin feststellen konnte, als Herstellung einer kinderpornographischen Schrift gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF (Taten II. 5 und II. 6 der Urteilsgründe) gewertet. Die Einzelstrafen hat es in diesen sechs Fällen jeweils dem § 184b Abs. 1 StGB aF entnommen. Dessen Strafrahmen hat es von sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe beschrieben.

9

bb) Diese Feststellungen tragen die mittäterschaftliche Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes nach § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB aF bzw. wegen Herstellung einer kinderpornographischen Schrift (§ 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF) nicht.

10

(1) Eine Strafbarkeit nach § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB aF setzt voraus, dass der Täter ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt. Einen der Norm genügenden Bestimmungsakt des Angeklagten hat das Landgericht indes nicht festgestellt.

11

(a) Bestimmen ist das Verursachen eines vom Gesetz beschriebenen Verhaltens gleich mit welchen Mitteln (vgl. BGH, Urteil vom 7. September 1995 – 1 StR 236/95, BGHSt 41, 242, 245 f.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 22. November 2017 – 4 StR 401/17, NStZ 2018, 460; Senat, Beschluss vom 4. März 2020 – 2 StR 501/19, NStZ 2020, 408, 409). Dies setzt eine unmittelbare, nicht notwendige eigenhändige, Einwirkung auf das Kind voraus, die zumindest mitursächlich dafür ist, dass dieses die sexuelle Handlung vornimmt (vgl. BeckOK- StGB/Ziegler, 50. Edition, § 176 Rn. 17; MüKo-StGB/Renzikowski, 4. Aufl., § 176 Rn. 33; SK-StGB/Wolters, 9. Aufl., § 176 Rn. 10; NK-StGB/Frommel, 5. Aufl., § 176 Rn. 15; Fischer, StGB, 68. Aufl., § 176 Rn. 7). Der Strafvorwurf wird durch den Bestimmungsakt als tatsächliche Verursachung der sexuellen Handlung des Kindes begründet (vgl. BGH, Urteil vom 7. September 1995 – 1 StR 236/95, aaO).

12

(b) Hieran gemessen fehlt es an einer Bestimmung des Kindes durch den Angeklagten. Vielmehr oblag es allein W. , die Nebenklägerin zur Vornahme der sexuellen Handlung zu veranlassen, ohne dass es zu einem kommunikativen oder physischen Kontakt zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin kam. Zwar hatte der Angeklagte ein maßgebliches Tatinteresse und seinerseits W. bestimmt, die Nebenklägerin zu veranlassen, nackt vor deren Handykamera zu posieren bzw. zu stehen. Damit hat aber nicht er, sondern W. die Nebenklägerin im Sinne von § 176 Abs. 4 Nr. 2 StGB aF bestimmt. Eine Täterschaft des Angeklagten in Form der Kettenanstiftung ist bei einem, wie hier, voll deliktisch handelnden Kommunikationsmittler nicht möglich, da es an der unmittelbaren Einwirkung auf die Nebenklägerin gefehlt hat (vgl. NK-StGB/ Frommel, aaO; SK-StGB/Wolters, aaO; ähnlich Fischer, aaO; vgl. auch Schönke/ Schröder/Eisele, 30. Aufl., § 176 Rn. 8; aA LK-StGB/Hörnle, 12. Aufl., § 176 Rn. 16).

13

(2) Die Feststellungen belegen auch keine mittäterschaftliche Herstellung kinderpornographischer Schriften nach § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF, die ein tatsächliches Geschehen wiedergeben.

14

(a) Beim Herstellen kinderpornographischer Schriften ist jeder, der an deren Herstellung mitwirkt, als eigenständig handelnde Person Täter. Jedoch sind auch Mittäterschaft oder mittelbare Täterschaft rechtlich möglich (vgl. Matt/ Renzikowski/Eschelbach, StGB, 2. Aufl., § 184 Rn. 52). Für die Abgrenzung gel- ten die allgemeinen Regeln. Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) setzt dabei einen gemeinsamen Tatentschluss voraus, auf dessen Grundlage jeder Mittäter einen objektiven Tatbeitrag leisten muss. Der eigene Tatbeitrag muss sich dabei so in die Tat einfügen, dass dieser als Teil der Handlung eines anderen Beteiligten und umgekehrt dessen Handeln als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 11. Juli 2017 – 2 StR 220/17, NStZ 2018, 144, 145 mwN).

15

(b) Hieran fehlt es. Der Angeklagte und W. haben bereits keinen gemeinsamen Tatentschluss zur Herstellung kinderpornographischer Schriften gefasst. Ein Tatplan, der eine Rolle des Angeklagten bei der Herstellung kinderpornographischer Schriften vorsah, war nicht verabredet. Vielmehr oblag es W. , zunächst die Bereitschaft der Nebenklägerin zu wecken, anschließend den Zeitpunkt für die Aufnahme festzulegen und diese eigenständig herzustellen. Letzteres erfolgte zwar auf Wunsch und nach Vorgaben des Angeklagten. Er war indes weder beim Herstellungsprozess vor Ort anwesend, noch sonst in diesen involviert. Sein Tatbeitrag beschränkte sich darauf, den Tatentschluss bei W. herbeizuführen. Hierdurch wird kein mittäterschaftliches Handeln, sondern eine Anstiftungshandlung belegt.

16

(3) Das Verhalten des Angeklagten stellt sich damit in den Fällen II. 2 bis II. 4 und II. 7 der Urteilsgründe als Anstiftung der W. zum sexuellen Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit Anstiftung zur Herstellung einer kinderpornographischen Schrift, die ein tatsächliches Geschehen wiedergibt (§ 176 Abs.4 Nr.2, §184b Abs.1 Nr.3, §52 StGB aF, §26 StGB) bzw. in den Fäl- len II. 5 und II. 6 der Urteilsgründe als Anstiftung zur Herstellung einer kinderpornographischen Schrift, die ein tatsächliches Geschehen wiedergibt (§ 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF, § 26 StGB), dar. Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend abgeändert. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, da sich der in diesen Fällen geständige Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.

17

cc) Der Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen II. 2 bis II. 7 der Urteilsgründe sowie der Gesamtfreiheitsstrafe unterfallen der Aufhebung.

18

(1) Das Landgericht hat die Einzelstrafen in den Fällen II. 2 bis II. 7 der Urteilsgründe dem Strafrahmen des § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB aF entnommen und diesen mit sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe beschrieben, während das Gesetz lediglich einen solchen von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vorsieht. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht unter Beachtung des zutreffenden Strafrahmens zu milderen Einzelstrafen gelangt wäre.

19

(2) Der Wegfall von sechs Einzelstrafen entzieht der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage.

20

2. Die Aufhebung des Ausspruchs zu den Einzelstrafen in den Fällen II. 2 bis II. 7 der Urteilsgründe sowie der Gesamtfreiheitsstrafe war auf die nicht revidierende Mitangeklagte W. zu erstrecken. Das Landgericht hat auch bei ihr die Einzelstrafen in diesen Fällen dem Strafrahmen des § 184b Abs. 1 StGB aF entnommen und diesen rechtsfehlerhaft mit sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe bezeichnet (vgl. zur Identität von Rechtsfehlern auf der Rechtsfolgenseite LR-StPO/Franke, 26. Aufl., § 357 Rn. 22 mwN). Der Senat kann auch bei ihr nicht ausschließen, dass das Landgericht unter Anwendung des gesetzlich vorgesehenen Strafrahmens zu milderen Einzelstrafen gelangt wäre. Der Wegfall der Einzelstrafen in sechs Fällen entzieht der Gesamtfreiheits- strafe auch hier die Grundlage.

21

3. Im Umfang der Aufhebung bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Da es sich um einen reinen Wertungsfehler handelt, bedarf es keiner Aufhebung von Feststellungen (vgl. KK-Gericke, StPO, 8. Aufl., § 353 Rn. 23). Ergänzende Feststellungen, die den bestehenden nicht widersprechen dürfen, sind möglich. Unberührt von der Entscheidung des Senats bleibt der Ausspruch des Landgerichts zur Kompensation der rechtsstaatswidrigen Verfahrens- verzögerung (vgl. Senat, Beschluss vom 5. Oktober 2017 ‒ 2 StR 573/16, juris Rn. 7 mwN).

Franke Krehl (RiBGH Zeng ist wegen Urlaubs gehindert zu unterschreiben.) Franke

Grube Schmidt

Vorinstanz:
Landgericht Marburg, 08.03.2021 – 3 KLs 1 Js 7071/16

Hier kann der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 28. September 2021 ebenfalls nachgelesen werden.

Rechtsanwalt sexueller Missbrauch Berlin Sexualstrafrecht Entscheidung des BGH zur Strafbarkeit bei Versuch sexueller Missbrauch eines Kindes

 

Rechtsanwalt sexueller Missbrauch Berlin: Rücktritt vom Versuch Sexueller Missbrauch

Anmerkung zum Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 21. November 2019 zu Frage, wann eine Strafbarkeit des Versuchs  sexueller Missbrauch vorliegt. Die Besonderheit des Falles hier lag darin, dass es zu keiner Tat gekommen war.  So wurde die Frage aufgeworfen, ob der Täter gemäß § 24 StGB von dem Versuch der Tat (sexueller Missbrauch) zurückgetreten war. Das Gesetz sieht in den Fällen, in denen ein Täter sein Vorhaben freiwillig aufgibt, Straflosigkeit vor. In der Praxis ist dabei entscheidend, ob der Versuch freiwillig aufgegeben wurde oder der Täter mit seinem Vorhaben (hier sexueller Missbrauch eines Kindes) gescheitert ist. Im vorliegenden Fall wurde das Urteil des Landgerichts  mit der Begründung aufgehoben, dass zu der Frage der Freiwilligkeit des Rücktritts keine ausreichenden Feststellungen getroffen worden waren:

 

 

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 500/19
vom
21. November 2019
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 21. November 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 9. Mai 2019 aufgehoben
a) in Fall II. 2. f) der Urteilsgründe mit den zugehörigen Feststellungen,
b) im verbleibenden Strafausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück-verwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexueller Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in drei Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in drei Fällen, davon einmal in Tateinheit mit versuchtem schweren sexuellen Missbrauch von Kindern (Fall II. 2. f) der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

-Rechtsanwalt sexueller Missbrauch Berlin: Rücktritt vom Versuch Sexueller Missbrauch-

1. Die Verfahrensrügen dringen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch.
2. Die Verurteilung wegen versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Fall II. 2. f) der Urteilsgründe kann nicht bestehen bleiben, weil die Feststellungen eine revisionsrechtliche Überprüfung der Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts nicht ermöglichen.
a) Danach fuhr der Angeklagte mit der zu diesem Zeitpunkt maximal dreizehn Jahre alten Nebenklägerin in seinem PKW an eine nicht einsehbare Stelle. Nachdem beide ihre Hose ausgezogen hatten, „sollte“ sich die Neben-klägerin auf den Angeklagten setzen, damit dieser mit ihr den vaginalen Ge-schlechtsverkehr durchführen konnte. Aufgrund der räumlichen Verhältnisse im Auto funktionierte dies jedoch nicht. Nachdem die Nebenklägerin kurz auf dem Angeklagten gesessen hatte und ohne dass es zu einem Eindringen gekommen war, zogen beide sich wieder an und fuhren nach Hause (UA S. 8). Im Rahmen der rechtlichen Würdigung dieses Vorfalls wird das Vorliegen eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch ausschließlich mit der Erwägung abgelehnt, der Angeklagte habe nicht freiwillig auf den Geschlechtsverkehr verzichtet. Vielmehr habe das Eindringen aufgrund der räumlichen Verhältnisse im Auto nicht funktioniert, so dass die Situation deshalb abgebrochen worden sei (UA S. 43).
b) Freiwilligkeit liegt vor, wenn der Täter „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist und die Ausführung seines Verbrechensplans noch für möglich ge-halten hat, er also weder durch eine äußere Zwangslage daran gehindert noch durch seelischen Druck unfähig geworden ist, die Tat zu vollbringen. Maßgebliche Beurteilungsgrundlage ist insoweit nicht die objektive Sachlage, sondern die Vorstellung des Täters hiervon (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2013 – 5 StR 229/13, NStZ-RR 2014, 9 f. mwN; Beschluss vom 3. April 2014 – 2 StR 643/14, NStZ-RR 2014, 241). Lässt sich den Urteilsfeststellungen das entsprechende Vorstellungsbild des Angeklagten, das zur revisionsrechtlichen Prüfung des Vorliegens eines freiwilligen Rücktritts vom Versuch unerlässlich ist, nicht entnehmen, hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 19. März 2013 – 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273; vom 13. August 2015 – 4 StR 99/15, StraFo 2015, 470, jeweils mwN; Beschluss vom 26. Februar 2019 – 4 StR 464/18).( Rechtsanwalt sexueller Missbrauch Berlin )
c) So liegt der Fall hier. Den Urteilsausführungen ist nicht zu entnehmen, warum die Beendigung der Bemühungen zur Ausübung des Geschlechtsverkehrs auf die räumlichen Verhältnisse in dem Auto zurückzuführen sein sollte. Es fehlt an jeglichen Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten in diesem Zeitpunkt, insbesondere an der Erörterung naheliegender Varianten einer möglichen Fortsetzung des Geschehens etwa in anderer Position oder außerhalb des verdeckt parkenden Autos.

d) Die Aufhebung erfasst auch den für sich genommen rechtsfehlerfreien Schuldspruch wegen tateinheitlich begangenen sexuellen Missbrauchs eines Kindes und sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen.

3. Auch im verbleibenden Umfang unterliegt der Strafausspruch der Aufhebung. ( Rechtsanwalt sexueller Missbrauch Berlin )
a) Das Landgericht hat sowohl bei der Bestimmung des Strafrahmens für die Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes als auch bei der Strafzumessung in allen Einzelfällen den „großen Altersunterschied“ zwischen der Nebenklägerin und dem Angeklagten (UA S. 47, 48) jeweils zu dessen Las-ten gewertet. Diese Erwägung stellt einen Verstoß gegen das Doppelverwer-tungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB dar, denn das Bestehen eines Altersgefälles zwischen Täter und Opfer als solchem ist in dem Schutzzweck des Tatbestan-des des sexuellen Missbrauchs eines Kindes und der Schutzaltersgrenze von 14 Jahren angelegt. Eine nicht unerhebliche Höhe dieses Altersgefälles ist für Taten des sexuellen Missbrauchs eines Kindes zumindest typisch (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Juni 2017 – 4 StR 186/17 mwN). Zwar war der Angeklagte nicht nur deutlich älter als die Geschädigte, er nahm ihr gegenüber auch eine Vaterstellung mit entsprechender Autorität ein. Diesen Umstand hat das Land-gericht aber bereits durch die strafschärfend gewürdigte tateinheitliche Verwirklichung des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen berücksichtigt. Der Senat kann daher letztlich nicht ausschließen, dass ohne den Rechtsfehler auf niedrigere Strafen erkannt worden wäre. Da lediglich ein Wertungsfehler vor-liegt und die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hiervon nicht berührt sind, können diese bestehen bleiben.
b) Die Aufhebung sämtlicher Einzelstrafen entzieht dem Gesamtstrafen-ausspruch die Grundlage.

4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die bislang unterbliebene Prüfung einer gemäß § 55 StGB vorzunehmenden Ge-samtstrafenbildung nähere Feststellungen zu den Vollstreckungsständen der Verurteilungen des Angeklagten durch das Amtsgericht Lippstadt vom 9. Mai und 18. Dezember 2014 voraussetzt.

Rechtsanwalt sexueller Missbrauch Berlin: Entscheidung des BGH zum Sexualstrafrecht bei nicht öffentlicher Verhandlung

Rechtsanwalt sexueller Missbrauch Berlin Strafverfahren Sexualstrafrecht

Rechtsanwalt sexueller Missbrauch Berlin: Entscheidung des BGH zum Sexualstrafrecht bei nicht öffentlicher Verhandlung

Der Bundesgerichtshof hatte über die Revision eines Angeklagten zu entscheiden, bei der weitgehend ohne Öffentlichkeit verhandelt wurde. Als Rechtsanwalt in Berlin für den Bereich sexueller Missbrauch eine kurze Anmerkung: Strafverfahren auch in Sexualstrafsachen des sexuellen Missbrauchs sind werden der Regel öffentlich verhandelt. Zum Schutz des persönlichen Lebensbereichs der Beteiligten Zeugen oder auch -wie hier- des Angeklagten erlaubt das Gesetz den Auschluss der Öffentlichkeit. Das muss aber, so stellt es der Bundesgerichtshof hier fest, auch für die Plädoyers und vor allem das letzte Wort des Angeklagten -besonders wie hier bei dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs- gelten. Denn es ist nicht auszuschließen, dass ein Angeklagter in einem Verfahren ohne den Druck der Öffentlichkeit im letzten Wort Angaben macht, die er vor der Öffentlichkeit gerade nicht machen würde, dies aber  zu einer milderen Bestrafung hätte führen können.

 

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
5 StR 530/19
vom
27. November 2019
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 27. November 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 6. Juni 2019 im Strafausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer sexueller Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Übergriff und mit Sichverschaffen kinderpornographischer Schriften, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Übergriff und mit Sichverschaffen kinderpornographischer Schriften in sieben Fällen sowie wegen Sichverschaffens kinder-pornographischer Schriften in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, von der es vier Monate wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung für bereits vollstreckt erklärt hat. Die dagegen gerichte-te und auf die Rüge der Verletzung formellen sowie materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt mit einer Verfahrensrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Während der Schuldspruch von den rechtsfehlerfreien Feststellungen getragen wird, führt die Revision des Angeklagten mit der Rüge einer Verletzung von § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG zur Aufhebung des Strafausspruchs.

1. In der Hauptverhandlung wurde die Öffentlichkeit während der Vernehmung des Angeklagten zur Sache ausgeschlossen, weil zu erwarten sei, dass hierbei Umstände aus dem Intimbereich des Opfers und des Angeklagten zur Sprache kommen würden, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen sowohl des Opfers als auch des Angeklagten verletzen könnten. Der Angeklagte machte danach Angaben zur Sache. Bei den Schlussanträgen und beim letzten Wort des Angeklagten war die Öffentlichkeit hergestellt.
2. Es liegt ein Verstoß gegen § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG vor. Nach dieser Vorschrift wäre die Öffentlichkeit während der Schlussanträge zwingend auszu-schließen gewesen, nachdem Teile der Hauptverhandlung zuvor unter Aus-schluss der Öffentlichkeit stattgefunden hatten. Die Regelung des § 171b Abs. 5 GVG i.V.m. § 336 Satz 2 StPO steht der vom Angeklagten erhobenen Rüge dabei nicht entgegen (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 12. November 2015 – 2 StR 311/15, NStZ 2016, 180 mit Anmerkung Arnoldi).
a) Auf dem dargelegten Verfahrensfehler kann allerdings der Schuld-spruch nicht beruhen. Angesichts des vollumfänglichen Geständnisses des An-geklagten sowie der Bildaufnahmen seiner Taten kann der Senat ausschließen, dass der Verteidiger oder der Angeklagte in nichtöffentlichen Schlussvorträgen noch Erhebliches hätten vorbringen können, das den Schuldspruch hätte infrage stellen können.  Rechtsanwalt sexueller Missbrauch Berlin

b) Dagegen kann der Strafausspruch auf dem Verfahrensfehler beruhen. Es ist möglich, dass jedenfalls der Angeklagte, wäre ihm das letzte Wort unter Ausschluss der Öffentlichkeit erteilt worden, Ausführungen gemacht hätte, die die Strafzumessung zu seinen Gunsten beeinflusst hätten. Trotz der durch den Generalbundesanwalt zutreffend als überaus maßvoll bezeichneten Strafen kann ein Beruhen des Strafausspruchs auf den Verfahrensfehler nicht völlig ausgeschlossen werden. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Rechtsanwalt sexueller Missbrauch Berlin

3. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen werden durch den Verfahrensfehler nicht berührt. Ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie den bestehenden nicht widersprechen.