Vergewaltigung und Sexueller Missbrauch, Besitz von Kinderpornografie: Anwendung des richtigen Sexualstrafrechts und Verjährung bei Kinderpornografie

Der Bundesgerichtshof hat am 2. Februar 2021 ein Urteil des Landgerichts Landgerichts Aachen aufgehoben. Dabei ging es zum einen um die Frage, ob die Änderung des Sexualstrafrechts aus dem Jahr 2016 gegenüber der davor geltenden Rechtslage für den wegen Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs Angeklagten günstiger war.

Wenig überraschend kommt der Bundesgerichtshof dazu, dass die Strafen für Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Kindern  mit der Gesetzesänderung verschärft wurden. Wichtig ist auch der zweite Teil des Urteils, in dem auf die Verjährung von Strafen wegen sexueller Missbrauch von Kindern eingegangen wird. Als Rechtsanwalt mit der Spezialisierung Sexueller Missbrauch – Vergewaltigung – Kinderpornografie sind mir aktuelle Änderungen des Gesetzes geläufig. Fragen Sie mich!

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2 StR 461/20

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS
vom

2. Februar 2021 in der Strafsache gegen

wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.

ECLI:DE:BGH:2021:020221B2STR461.20.0

 

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu Ziffer 2. auf dessen Antrag – am 2. Februar 2021 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 25. Juni 2020

a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass

aa) der Angeklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und Besitz kinderpornografischer Schriften in zwei Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und sexuellem Übergriff, wegen sexu- ellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, versuchtem sexuellen Übergriff und Besitz kinderpornografischer Schriften in vier Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Übergriff und Herstellung kinderpornografischer Schriften, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Übergriff und Besitz kinderpornografischer Schriften in drei Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Herstellung kinderpornografischer Schriften in drei Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Besitz kinderpornografischer Schriften und der Herstellung kinderpornografischer Schriften verurteilt ist;

bb) die Verurteilung wegen tateinheitlicher Besitzverschaffung kinderpornografischer Schriften im Fall II.5 der Urteilsgründe entfällt;

b) mit den Feststellungen aufgehoben

aa) im gesamten Strafausspruch,

bb) hinsichtlich der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sowie

cc) im Ausspruch über die Einziehung, soweit eine externe Festplatte der Marke I. (3 GB) eingezogen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

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Gründe:

1

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen „wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Vergewaltigung in weiterer Tateinheit mit Sichverschaffen kinderpornografischer Schriften in zwei Fällen [Fälle II.7 und II.11 der Urteilsgründe], wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, in weiterer Tateinheit mit sexuellem Übergriff und Sichverschaffen kinderpornografischer Schriften in einem Fall [Fall II.5 der Urteilsgründe], wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch Schutzbefohlener, in weiterer Tateinheit mit versuchtem sexuellen Übergriff und mit Sichverschaffen kinderpornografischer Schriften in vier Fällen [Fälle II.1-II.4 der Urteilsgründe], wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Übergriff in wei- terer Tateinheit mit Sichverschaffen bzw. Herstellung kinderpornografischer Schriften in vier Fällen [Fälle II.6, II.9, II.10 und II.12 der Urteilsgründe], wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit Sichverschaffen bzw. Herstellung kinderpornografischer Schriften in vier Fällen [Fälle II.8, II.13-II.15 der Urteilsgründe] sowie wegen Herstellung kinderpornografischer Schriften [Fall II.16 der Urteilsgründe]“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und vier Monaten verurteilt, seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet und eine näher bezeichnete externe Festplatte sowie ein Mobiltelefon eingezogen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Die Verurteilung wegen einer in den Fällen II.7 und II.11 der Urteilsgründe tateinheitlich ausgeurteilten Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB sowie der in den Fällen II.1-II.11 der Urteilsgründe tateinheitlich ausgeurteilten Besitzverschaffung kinderpornografischer Schriften gemäß § 184b Abs. 4 Satz 1 StGB i.d.F. vom 31. Oktober 2008 erweist sich als durchgreifend rechtfehlerhaft.

3

a) Die Verurteilung wegen Vergewaltigung in den Fällen II.7 und II.11 der Urteilsgründe hat keinen Bestand. Entgegen der Wertung der Strafkammer stellt sich – bei der gebotenen konkreten Betrachtungsweise – die seit dem 10. November 2016 geltende Fassung der § 177 Abs. 2 Nr. 1, § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB in den Fällen, in denen der Tatrichter – wie hier – einen besonders schweren Fall entsprechend dem Regelbeispiel des § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB annimmt, nicht als milderes Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB gegenüber der bis zum 9. November 2016 geltenden Fassung des § 179 Abs. 5 Nr. 1 StGB dar (vgl. Senat, Urteil vom 28. Februar 2018 – 2 StR 45/17, juris Rn. 15; BGH, Be- schlüsse vom 5. Juli 2017 – 4 StR 31/17, juris Rn. 3; vom 16. Mai 2017 – 3 StR 43/17, juris Rn. 6). Es verbleibt damit auch hinsichtlich des Schuldspruchs bei der Anwendung des § 179 StGB aF (vgl. Senat, Urteil vom 28. Februar 2018 – 2 StR 45/17, aaO).

4

b) Auch die tateinheitliche Verurteilung in den Fällen II.1-II.11 der Urteilsgründe wegen Sichverschaffens von kinderpornografischen Schriften gemäß § 184b Abs. 4 Satz 1 StGB aF erweist sich als rechtsfehlerhaft. Zwar verwirklichte der Angeklagte jeweils die Voraussetzungen des Tatbestandes, weil er sich mit der Aufzeichnung der Missbrauchshandlungen zur späteren eigenen Verwendung kinderpornografische Schriften verschaffte, die ein tatsächliches Geschehen wiedergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2019 – 3 StR 264/19, juris Rn. 11 mwN). Nach den Urteilsfeststellungen kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die maßgebliche Verjährungsfrist von fünf Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) im Zeitpunkt der ersten – die Verjährung unterbrechenden − Vernehmung des Angeklagten am 8. November 2019 bereits abgelaufen war, so dass der Verfolgbarkeit der Verschaffungstaten das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung entgegensteht. Denn der Angeklagte beging die Taten II.1- II.11 der Urteilsgründe im Jahr 2014, so dass in Anwendung des auch bei der Prüfung des Verfahrenshindernisses der Verfolgungsverjährung geltenden Zweifelssatzes (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 – 4 StR 437/20 mwN) von einer Beendigung des Verschaffungsaktes vor dem 8. November 2014 auszugehen ist.

5

Damit kommt in den Fällen II.1-II.4 und II.6-II.11 der Urteilsgründe – das Tatvideo im Fall II.5 der Urteilsgründe war zu einem nicht bekannten Zeitpunkt vor der Sicherstellung der übrigen Dateien am 9. November 2019 vom Angeklagten aufgrund dessen schlechter Qualität gelöscht worden – der Auffangtatbestand des bis zur Sicherstellung andauernden Besitzes (§ 184b Abs. 3 nF, § 2 Abs. 2 StGB) der verschiedenen Tatvideos zur Anwendung (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2019 – 3 StR 264/19, juris Rn. 14 mwN). Der Besitz der kin- derpornografischen Schriften in den Fällen II.1-II.4 und II.6-II.11 der Urteilsgründe stellt sich hier ausnahmsweise (vgl. zur Einheitlichkeit des Besitzes kinderpornografischer Schriften als Dauerdelikt Senat, Beschluss vom 15. Januar 2020 – 2 StR 321/19, juris Rn. 19 mwN) jeweils als eigenständiges Vergehen nach § 184b Abs. 3 StGB nF dar; denn der gleichzeitige Besitz mehrerer kinderpornografischer Schriften bewirkt nur dann eine Verknüpfung zu einer Tat, wenn nicht – wie hier – selbständige Verschaffungstaten festgestellt sind (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2008 – 3 StR 215/08, juris Rn. 5). Dass der Angeklagte wegen des zwischenzeitlich eingetretenen Verfahrenshindernisses der Verjährung nicht nach § 184b Abs. 4 Satz 1 StGB aF, sondern nur nach dem wiederauflebenden Besitztatbestand verurteilt werden kann, ändert an der konkurrenz- rechtlichen Bewertung nichts (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2019 – 3 StR 264/19, juris Rn. 23).

6

c) Der Senat ändert den Schuldspruch im vorgenannten Sinne ab. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte hiergegen nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Im Fall II.5 der Urteilsgründe hat die tateinheitliche Verurteilung wegen eines Vergehens nach § 184b Abs. 4 Satz 2 StGB aF bzw. § 184b Abs. 3 StGB nF zu entfallen, da nach den Feststellungen nicht auszuschließen ist, dass der Angeklagte das zunächst erstellte Tatvideo in rechtsverjährter Zeit gelöscht und damit den Besitz an dieser kinderpor- nografischen Schrift bereits zu diesem Zeitpunkt endgültig aufgegeben hatte (vgl. zur Besitzaufgabe durch Löschung Senat, Urteil vom 28. März 2018 – 2 StR 311/17, juris Rn. 34 mwN). Da ergänzende Feststellungen insoweit nicht zu erwarten sind, hat die tateinheitliche Verurteilung wegen der Besitzverschaffung von kinderpornografischen Schriften in diesem Fall zu entfallen.

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2. Der Strafausspruch unterfällt in Gänze der Aufhebung.

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a) Die Strafkammer hat bei der Strafzumessung in mehrfacher Hinsicht gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 46 Abs. 3 StGB) verstoßen.

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aa) Sie hat in den Fällen II.1-II.6, II.8-II.10 und II.12-II.15 der Urteilsgründe straferschwerend gewertet, dass der Angeklagte „immer wieder Gelegenheiten zu weiteren heimlichen Tatbegehungen schuf und ausnutzte, wobei er das Wohl der Geschädigten jeweils seinem eigenen sexuellen Interesse untergeordnet“ bzw. − in den Fällen II.7 und II.11 der Urteilsgründe − „das Wohl der Geschädigten vollkommen und rücksichtslos seinen eigenen sexuellen Interessen unter[ge- ordnet]“ habe. Damit hat die Strafkammer zum einen rechtsfehlerhaft darauf ab- gestellt, dass der Angeklagte die Straftaten überhaupt begangen hat. Zum anderen gehört es zum Regelbild der Tatbestände der §§ 176 und 176a StGB, dass sich der Angeklagte über die Interessen des missbrauchten Kindes hinwegsetzt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 17. Oktober 2018 – 2 StR 367/18, juris Rn. 4; vom 4. August 1999 – 2 StR 312/99, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Sexualdelikte 4; BGH, Beschlüsse vom 8. Januar 2014 – 3 StR 318/13, juris Rn. 5; vom 14. Dezember 2004 – 4 StR 237/04, juris Rn. 11; vom 30. Juli 2002 – 4 StR 148/02, juris Rn. 6).

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bb) Ferner hat die Strafkammer in den Fällen II.1-II.5 der Urteilsgründe neben dem zutreffenden Umstand, dass der Angeklagte bei der Tatbegehung mehrere Delikte tateinheitlich verwirklicht hat, auch zu dessen Nachteil gewertet, dass dieser „systematisch das von den Eltern der Geschädigten und den Geschädigten selbst in ihn gesetzte Vertrauen für die jeweiligen Tatbegehungen missbrauchte“. Damit hat die Strafkammer ebenfalls gegen das Doppelverwer-tungsverbot verstoßen. Eine Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfordert, dass das Tatopfer dem Angeklagten „anvertraut“ war. Das danach erforderliche Obhutsverhältnis setzt voraus, dass der Täter – regelmäßig im ausdrücklichen oder stillschweigen- den Einvernehmen mit dem Sorgeberechtigten – gegenüber dem Opfer eine übergeordnete Stellung einnimmt oder dass dieses ihn zumindest als Vertrauensperson anerkennt (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 1995 – 3 StR 526/94, BGHSt 41, 137, 139; MüKo-StGB/Renzikowski, 3. Aufl., § 174 Rn. 25; vgl. auch Senat, Beschluss vom 26. Januar 2000 – 2 StR 612/99, juris Rn. 7; BGH, Be- schlüsse vom 25. Februar 1997 – 4 StR 409/96, juris Rn. 9; vom 17. Dezember 1993 – 4 StR 713/93, juris Rn. 5; OLG Bamberg, Beschluss vom 9. Oktober 2017 – 3 OLG 6 Ss 94/17, NStZ-RR 2017, 369, jeweils zu § 174 Abs. 1 Nr. 3 StGB).

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b) Erheblichen Bedenken begegnet auch die Begründung der Strafzumessung in den Fällen II.6-II.15 der Urteilsgründe, soweit die Strafkammer bei allen Einzelstrafen die bei der Geschädigten im Nachgang zu den Taten feststellbaren negativen Tatfolgen berücksichtigt hat. Handelt es sich bei psychischen Beeinträchtigungen von Tatopfern um Folgen aller Taten, so können diese dem Angeklagten ausschließlich bei der Gesamtstrafenbildung uneingeschränkt angelastet werden. Nur wenn sie unmittelbare Folge bereits einzelner Taten sind, können sie mit ihrem vollen Gewicht bei der Bemessung der Einzelstrafe in Ansatz gebracht werden (vgl. Senat, Beschluss vom 5. November 2019 – 2 StR 469/19, juris Rn. 2; Urteil vom 5. September 2018 – 2 StR 454/17, juris Rn. 30, jeweils mwN; offen gelassen BGH, Beschluss vom 9. Januar 2018 – 5 StR 541/17, juris Rn. 10).

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c) Der Senat hebt auch den für sich genommenen rechtsfehlerfreien Strafausspruch im Fall II.16 der Urteilsgründe auf, um dem neuen Tatgericht eine in sich stimmige Bemessung der Einzelstrafen zu ermöglichen.

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3. Der Entfall der Einzelstrafen entzieht der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage. Beides führt zum vorläufigen Wegfall der formellen Voraussetzungen der angeordneten Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung.

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4. Die Einziehungsentscheidung hat keinen Bestand, soweit die Strafkammer die Einziehung der sichergestellten externen Festplatte angeordnet hat. Nach § 184b Abs. 6 Satz 1 StGB sind zwar Beziehungsgegenstände der Tat zwingend einzuziehen. Die rechtfehlerfreien Feststellungen belegen auch, dass der Angeklagte die Festplatte zum Speichern der inkriminierten Tatvideos verwendete. Es fehlen indes Feststellungen dazu, ob es angesichts des Wertes der sichergestellten Festplatte technisch mit verhältnismäßigem Aufwand möglich ist, die dort gespeicherten Dateien in einer Weise zu löschen, dass diese nicht wiederhergestellt werden können. Solche wären aber zu treffen gewesen, weil für Anordnungen gemäß § 184b Abs. 6 StGB der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt (§ 74f StGB) und gegebenenfalls von der Möglichkeit des § 74f Abs. 2 StGB Ge- brauch gemacht werden muss (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Mai 2020 – 2 StR 448/19, juris Rn. 2; BGH, Beschluss vom 8. Mai 2018 – 5 StR 65/18, juris Rn. 9 f. mwN).

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5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die in die im Übrigen rechtsfehlerfreie Gefährlichkeitsprognose eingestellte Wertung der Strafkammer, diese könne auch aus dem Umstand hergeleitet werden, der Angeklagte habe „in Kenntnis seiner Neigung und der begangenen Taten […] gemeinsam mit seiner Ehefrau ernsthaft die Möglichkeit in Betracht gezogen […], selbst ein Kind zu adoptieren“, in den Feststellungen keine hinreichende Grundlage erfährt. Denn es bleibt offen, wann der Angeklagte und seine Ehefrau die dort beschriebenen Adoptionsbemühungen entfaltet haben. Ungeachtet dessen erschließt sich nicht ohne Weiteres, inwiefern den vormaligen Adoptionsbemühungen des Angeklagten ein tragfähiger Beleg für dessen zukünftige Gefährlichkeit entnommen werden kann.

Franke Krehl Meyberg Grube Schmidt

Vorinstanz:
Aachen, LG, 25.06.2020 – 240 Js 494/19 65 KLs 11/20

Hier kann der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 2. Februar 2021 ebenfalls nachgelesen werden.

Rechtsanwalt sexueller Missbrauch Berlin: Entscheidung des BGH zum Sexualstrafrecht bei nicht öffentlicher Verhandlung

Rechtsanwalt sexueller Missbrauch Berlin Strafverfahren Sexualstrafrecht

Rechtsanwalt sexueller Missbrauch Berlin: Entscheidung des BGH zum Sexualstrafrecht bei nicht öffentlicher Verhandlung

Der Bundesgerichtshof hatte über die Revision eines Angeklagten zu entscheiden, bei der weitgehend ohne Öffentlichkeit verhandelt wurde. Als Rechtsanwalt in Berlin für den Bereich sexueller Missbrauch eine kurze Anmerkung: Strafverfahren auch in Sexualstrafsachen des sexuellen Missbrauchs sind werden der Regel öffentlich verhandelt. Zum Schutz des persönlichen Lebensbereichs der Beteiligten Zeugen oder auch -wie hier- des Angeklagten erlaubt das Gesetz den Auschluss der Öffentlichkeit. Das muss aber, so stellt es der Bundesgerichtshof hier fest, auch für die Plädoyers und vor allem das letzte Wort des Angeklagten -besonders wie hier bei dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs- gelten. Denn es ist nicht auszuschließen, dass ein Angeklagter in einem Verfahren ohne den Druck der Öffentlichkeit im letzten Wort Angaben macht, die er vor der Öffentlichkeit gerade nicht machen würde, dies aber  zu einer milderen Bestrafung hätte führen können.

 

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
5 StR 530/19
vom
27. November 2019
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 27. November 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 6. Juni 2019 im Strafausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer sexueller Missbrauch von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Übergriff und mit Sichverschaffen kinderpornographischer Schriften, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Übergriff und mit Sichverschaffen kinderpornographischer Schriften in sieben Fällen sowie wegen Sichverschaffens kinder-pornographischer Schriften in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, von der es vier Monate wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung für bereits vollstreckt erklärt hat. Die dagegen gerichte-te und auf die Rüge der Verletzung formellen sowie materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt mit einer Verfahrensrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Während der Schuldspruch von den rechtsfehlerfreien Feststellungen getragen wird, führt die Revision des Angeklagten mit der Rüge einer Verletzung von § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG zur Aufhebung des Strafausspruchs.

1. In der Hauptverhandlung wurde die Öffentlichkeit während der Vernehmung des Angeklagten zur Sache ausgeschlossen, weil zu erwarten sei, dass hierbei Umstände aus dem Intimbereich des Opfers und des Angeklagten zur Sprache kommen würden, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen sowohl des Opfers als auch des Angeklagten verletzen könnten. Der Angeklagte machte danach Angaben zur Sache. Bei den Schlussanträgen und beim letzten Wort des Angeklagten war die Öffentlichkeit hergestellt.
2. Es liegt ein Verstoß gegen § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG vor. Nach dieser Vorschrift wäre die Öffentlichkeit während der Schlussanträge zwingend auszu-schließen gewesen, nachdem Teile der Hauptverhandlung zuvor unter Aus-schluss der Öffentlichkeit stattgefunden hatten. Die Regelung des § 171b Abs. 5 GVG i.V.m. § 336 Satz 2 StPO steht der vom Angeklagten erhobenen Rüge dabei nicht entgegen (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 12. November 2015 – 2 StR 311/15, NStZ 2016, 180 mit Anmerkung Arnoldi).
a) Auf dem dargelegten Verfahrensfehler kann allerdings der Schuld-spruch nicht beruhen. Angesichts des vollumfänglichen Geständnisses des An-geklagten sowie der Bildaufnahmen seiner Taten kann der Senat ausschließen, dass der Verteidiger oder der Angeklagte in nichtöffentlichen Schlussvorträgen noch Erhebliches hätten vorbringen können, das den Schuldspruch hätte infrage stellen können.  Rechtsanwalt sexueller Missbrauch Berlin

b) Dagegen kann der Strafausspruch auf dem Verfahrensfehler beruhen. Es ist möglich, dass jedenfalls der Angeklagte, wäre ihm das letzte Wort unter Ausschluss der Öffentlichkeit erteilt worden, Ausführungen gemacht hätte, die die Strafzumessung zu seinen Gunsten beeinflusst hätten. Trotz der durch den Generalbundesanwalt zutreffend als überaus maßvoll bezeichneten Strafen kann ein Beruhen des Strafausspruchs auf den Verfahrensfehler nicht völlig ausgeschlossen werden. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Rechtsanwalt sexueller Missbrauch Berlin

3. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen werden durch den Verfahrensfehler nicht berührt. Ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie den bestehenden nicht widersprechen.

Und nochmal: Der Bundesgerichtshof zur Definition der „Sexuellen Handlung“

Verteidiger für Sexualstrafrecht / sexueller Missbrauch in Berlin-Schöneberg: Ursus Koerner von Gustorf

Verteidiger für Sexualstrafrecht / sexueller Missbrauch in Berlin-Schöneberg: Ursus Koerner von Gustorf

Sexueller Missbrauch durch reines Fotografieren einer Alltagssituation?

Der Bundesgerichtshof hatte im August 2018 über ein teilweise freisprechendes Urteil des Landgerichts Berlin zu entscheiden. Hierbei war die Frage zu klären, ob das Fotografieren eines nackten und entblößten  Kindes in einer alltäglichen Situation als Herstellung von Kinderpornografie strafbar sein kann. (Urteil vom 29. August 2018, 5 StR 147/18 in abgekürzter Fassung)

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Die Ausführungen des Landgerichts in seiner rechtlichen Würdigung lassen besorgen, dass es bei der Beurteilung, ob im Fall 1 – und infolgedessen auch im Fall 3 – der Urteilsgründe eine sexuelle Handlung des Angeklagten vorliegt, von einem falschen rechtlichen Maßstab ausgegangen ist.

An einem Kind mit Körperkontakt vorgenommene Handlungen sind sexuelle Handlungen, wenn diese bereits objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild die Sexualbezogenheit erkennen lassen. Daneben können aber auch sogenannte ambivalente Tätigkeiten, die für sich betrachtet nicht ohne Weiteres einen sexuellen Charakter aufweisen, tatbestandsmäßig sein. Insoweit ist auf das Urteil eines objektiven Betrachters abzustellen, der alle Umstände des Einzelfalles kennt. Dazu gehören auch die Zielrichtung des Täters (BGH, Urteil vom 8. Dezember 2016 –4 StR 389/16) und seine sexuel-12131415-8-len Absichten (BGH, Urteile vom 10. März 2016 –3 StR 437/15, BGHSt 61, 173, 176; vom 21. September 2016 –2 StR 558/15, NStZ 2017, 528).

Der notwendige Sexualbezug kann sich mithin etwa aus der den Angeklagten leitenden Motivation ergeben, seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen (BGH aaO). Demgegenüber hat das Landgericht darauf abgestellt, dass „der objektive Betrachter der Handlung … zwar alle objektiven Umstände des Einzelfalls, allerdings nicht die Motivation des Handelnden (kennt), es sei denn, dass diese in objektiv wahrnehmbarer Weise zum Ausdruck kommt“ (UA S. 10)

Nach § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB macht sich auch strafbar, wer kinder-pornographische Schriften ausschließlich zum Eigenbedarf herstellt. Eine spätere Verbreitung ist seit der Einfügung der Nummer 3 durch das 49. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10) nicht mehr erforderlich (vgl. BT-Drucks. 18/2601, S. 30; MüKo-StGB/Hörnle, 3. Aufl., § 184b Rn. 30; SSW-StGB/Hilgendorf, 3. Aufl., § 184b Rn. 15).

Nach dem Schutzzweck des § 184b StGB ist dieser Straftatbestand nicht auf Fälle der Darstellung strafbewehrter sexueller Missbrauchstaten im Sinne der §§ 176 bis 176b StGB beschränkt. Denn das Merkmal „Erheblichkeit“ in § 184h Nr. 1 StGB ist nicht einheitlich am Maßstab des § 176 Abs. 1 StGB, -sondern gemäß dem Wortlaut des § 184h Nr. 1 StGB „im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut“ zu bestimmen. Nachdem § 184b StGB aber schon mögliche Anreize für potenzielle Missbrauchstäter vermeiden soll, versagt der für § 176 StGB entwickelte Maßstab der „Erheblichkeit“ gerade in den Fällen, in denen es dort zum Beispiel auf die Intensität und Dauer einer Berührung ankommt; die Übernahme dieses Maßstabs würde den Zweck der Anreizvermeidung verkürzen (BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 –1 StR 485/13, BGHSt 59, 177, 182 f. mwN).