Vorwurf sexueller Missbrauch und Vergewaltigung, Aussagekonstanz, Aussageentstehung, Sachverständige, Glaubhaftigkeit, Aussage gegen Aussage
Der sechste Senat des Bundesgerichtshofs hatte über die Revision gegen ein Urteil des Landgerichts Braunschweig zu entscheiden und hat das Urteil des Landgerichts mit seinen Feststellungen aufgehoben.
Besonders bemängelt hat der BGH, dass das Landgericht nicht klar dargelegt hat, auf welchem Weg es zu der Einschätzung gelangt ist, dass die einzige Zeugin seelisch gesund und aussagefähig war. Zwar hatte das Landgericht einen Sachverständigen zu dieser Frage gehört. Völlig offengeblieben war in den schriftlichen Urteilsgründen aber, aufgrund welcher Tatsachen sich das Landgericht eine eigene Überzeugung gebildet hatte. Das Urteil ließ nicht erkennen, dass das Landgericht eine eigene Prüfung vorgenommen hatte. Vielmehr ließen die Urteilsgründe die Annahme zu, dass das Landgericht sich ohne eigene Prüfung den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen hatte.
Weiter rügte der Bundesgerichtshof, dass die dem Urteil zugrundeliegenden Aussagen der einzigen Zeugin nicht umfassend wiedergegeben waren und die Entwicklung der Aussage nicht dargestellt wurde. So war es dem BGH nicht möglich, das Urteil hinsichtlich der Aussageentstehung inhaltlich zu prüfen.
In fast allen Fällen der Verteidigung gegen den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs werden Zeugen mehrfach vernommen. So erfolgt eine kurze Aussage bei der Anzeigeerstattung, danach wird die Zeugin oder der Zeuge ausführlich durch eine Fachdienststelle der Polizei vernommen. Im weiteren Lauf des Ermittlungsverfahrens kann es zudem zu einer richterlichen Vernehmung („Videovernehmung“) kommen. In der Hauptverhandlung selbst erfolgt zumeist eine dritte oder vierte Aussage.
Das Gleichbleiben der Zeugenaussage („Aussagekonstanz“) ist ein wichtiges Indiz für die Belastbarkeit der Angaben eines Zeugen oder einer Zeugin. Aufgabe der Verteidigung in Sexualstrafsachen ist es, im Rahmen einer gut vorbereiteten Befragung Abweichungen herauszuarbeiten und mögliche Schwächen der Aussage zu markieren.