„Was tun, wenn ich eine Anklageschrift erhalten habe?“

Mein erster Rat: Erst einmal durchatmen. Keinesfalls sollten Sie sich gegenüber dem Gericht zu den Vorwürfen äußern. Auch wenn sie glauben, vermeintliche Beweise zu haben, die Sie entlasten können.  Auch wenn die Anklageschrift in Ihren Augen noch so gestelzt und konstruiert oder sogar falsch wirken mag, lassen Sie sich auf keinen Fall dazu hinreißen, eine Aussage zu machen, denn: Sie wissen nicht, welchen Kenntnisstand die Staatsanwaltschaft hat und worauf sich die Anklage letztendlich stützt. Daher sollten Sie im unbedingt einen Anwalt für Sexualstrafrecht hinzuziehen und ihm die Anklageschrift zukommen lassen. Der Anwalt wird als Erstes für Sie Akteneinsicht beantragen und gegebenenfalls eine Verlängerung der Erklärungsfrist zur Anklageschrift und der Eröffnung des Hauptverfahrens beantragen. Diese Fristen sind oft recht kurz bemessen und wenn Sie sie verstreichen lassen, kommt es zur Eröffnung der Hauptverhandlung, ohne dass Sie die Möglichkeit hatten, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen oder sich Rat zu holen.

Und:
Selbst nach Anklageerhebung ist eine Einstellung des Verfahrens nicht ausgeschlossen. Sehr hilfreich hierfür ist jedoch, dass ein erfahrener Verteidiger Ihren Fall individuell prüft und, sofern es vielversprechend ist, die entsprechenden Schritte dazu einleitet. Gerade bei Sexualstraftaten ist eine öffentliche Hauptverhandlung mit Zuschauern eine nicht zu unterschätzende Belastung, die Ihnen somit erspart werden könnte.

Im ersten Schritt unbedingt einen Anwalt hinzuziehen und ihm die Anklageschrift zukommen lassen.

Was ist eine Anklageschrift?

Eine Anklageschrift ist ein Antrag der Staatsanwaltschaft, eine Gerichtsverhandlung gegen Sie durchzuführen. Die Anklageschrift markiert in einem Strafverfahren das Ende des Ermittlungsverfahrens und den Beginn des gerichtlichen Teils des Verfahrens gegen den Beschuldigten. Zu einer Anklageschrift kommt es, wenn aus Sicht der Staatsanwaltschaft ein „hinreichender Tatverdacht“ besteht und die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung durch die Staatsanwaltschaft höher eingeschätzt wird, als die Möglichkeit eines Freispruchs.

Eine Anklageschrift hat zwei Funktionen: Zum einen wird der Beschuldigte über den oder die gegen ihn erhobenen Vorwürfe informiert, zum anderen dient sie dazu, den Prozessgegenstand für das Verfahren zu definieren, sprich: Vor Gericht geht es nur um die hier beschriebene Tat an dem bestimmten Ort und zu der angegebenen Zeit. 

Was bedeutet die Anklageschrift für mich?

Wenn die Staatsanwaltschaft dem Abschluss aller Ermittlungsarbeiten zu dem Schluss kommt, dass eine Verurteilung des Beschuldigten wahrscheinlicher ist als ein Freispruch, kommt es zu einer Anklageschrift. Diese Anklageschrift wird von der Staatsanwaltschaft an das Gericht geschickt. Das Gericht hat nun zu prüfen, ob es die Anklage „zulässt“, also eine Verhandlung durchführt, oder ob es die Beweise  für nicht ausreichend erachtet und die Durchführung einer Verhandlung ablehnt.

Was passiert, wenn ein Hauptverfahren eröffnet wird?

Die Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Gericht markiert die Zulassung der Anklage gegen Sie. Nun wird eine Hauptverhandlung anberaumt. Wie lange so ein Hauptverfahren dauert, hängt stark von der Schwere und Komplexität der Tat ab: Manchmal sind es nur ein zwei Stunden, es kann sich aber auch über Wochen oder Monate hinziehen. Ihr persönliches Erscheinen zur Hauptverhandlung ist grundsätzlich Pflicht. In besonderen Fällen kann ohne Sie verhandelt werden und Sie können sich durch einen Anwalt vertreten lassen. Sollten Sie aber unentschuldigt fehlen, kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl gegen Sie erlassen. Auch kann es passieren, dass zum nächsten Termin dann polizeilich vorgeführt werden müssen.

Muss ich mich um einen Verteidiger kümmern?

Als Empfänger einer Anklageschrift sollten Sie sich schnellstmöglich mit einem Anwalt für Sexualstrafrecht in Verbindung setzen. In Fällen, in denen eine Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr droht oder schwierige rechtliche Fragen zu klären sind, wird Sie das Gericht sogar dazu auffordern, einen Rechtsanwalt zu benennen. Kommen Sie dieser Aufforderung nicht nach, wird Ihnen durch das Gericht ein Pflichtverteidiger bestellt. Sie sollten sich deshalb selbst um die Auswahl des Verteidigers bemühen und diese Entscheidung nicht dem Gericht überlassen.